Wer sind die Waldensberger, bzw. die Waldenser?

Die Wurzeln der Waldenser, einer protestantischen Glaubensgemeinschaft, gehen auf das Jahr 1170 zurück.
Der Begründer der Waldenser-Bewegung war Petrus Waldes (Todesjahr 1206/7). Ursprünglich war Waldes ein begüterter Kaufmann in der südfranzösischen Handelsstadt Lyon. Nach einer religiösen Lebenskrise ließ er sich die lateinische Bibel in seine provencalische Muttersprache übersetzen. In Übereinstimmung mit den Evangelien entschied sich Waldes als wandernder Prediger in Armut zu leben und gab seine Güter den Armen. Die Menschen seiner Zeit forderte er auf, Buße zu tun.

Er und seine Freunde, die sich die „Armen von Lyon“ nannten, predigten das Evangelium auf den Straßen, wie einst die Jünger Jesu. Diese neue, unerhörte Initiative – damals durfte ein Laie nie predigen – rief eine harte Reaktion seitens der Katholischen Kirche und den staatlichen Behörden hervor, fand aber einen sehr großen Anklang in den mittleren und niederen Schichten der Bevölkerung. Sie verbreiteten sich allmählich – gerade auch wegen ihrer Kritik an der herrschenden Papstkirche – vor allem im Osten Frankreichs und in Norditalien.
1184 werden Waldes und seine Anhänger wegen Ungehorsams gegen den Bischof exkommuniziert und aus Lyon vertrieben. Das IV. Laterankonzil verdammt im Jahre 1215 die Waldenser endgültig wegen Ketzerei.

Damit begannen lang andauernde Unterdrückungen und schlimme Verfolgungen der Waldenser. Allen Verfolgungen zum Trotz breitet sich die Waldenserlehre im „Untergrund“ durch die unermüdliche Evangeliesierungsarbeit der Wanderprediger, der so genannten „Barben“, von Spanien bis zur Ostsee in ganz Mitteleuropa aus und bereitet damit den Boden für die Reformation des 16. Jahrhunderts vor. Nicht umsonst hat man diese kleine Glaubensgemeinschaft die „Mutter der Reformation“ genannt! 1532 schließen sich die Waldenser auf der Synode von Chanforan im Angronatal (Italien) der Schweizer (Genfer) Reformation an und lassen die Bibel aus den Ursprachen, Griechische und Hebräisch, von einem Vetter Calvins mit Namen Olivetan ins Französische übersetzen. Es ist das „Geschenk“ der piemontesischen Waldenser an die Reformation!

Die schrecklichen Ereignisse der Religionskriege im 17. Jahrhundert mit grausamen Massakern an der wehrlosen waldensischen Bevölkerung führen zur Flucht ins befreundete Ausland. In, bzw. über die Schweiz (Genf) nach Erlangen und Hessen-Darmstadt. 1689 kehren ca. 1000 Personen unter der Führung des Pfarrers Henry Arnaud vom Genfer See aus in die heimatlichen Täler Piemonts zurück. Nach anstrengendem Marsch und vielen Kämpfen mit savoyischen und französischen Soldaten erreichen sie im September 1689 das Pellice-Tal, wo sie auf der Wiese von Sibaud ihren historischen Treueschwur leisten.

Dennoch kam es Ende des 17. Jahrhunderts zu neuen Unterdrückungen (nach der Aufhebung der Toleranz durch ein Edikt von Ludwig XIV.). Wie die Hugenotten sollten die Waldenser in Frankreich und Italien ihrem Glauben abschwören und katholisch werden. Wer sich dem widersetzte, musste das Land bei Androhung schlimmster Strafen schnell verlassen. So waren 1698/1699 die Glaubensflüchtlinge gezwungen ihre Heimat, unter anderen auch die Dörfer Mentoulles, Usseaux und Fenestrelle im französischen Chisone-Tal zu verlassen und kamen über die Schweiz vor allem nach Deutschland. Sie finden in Baden-Württemberg und in Hessen Aufnahme und gründen mehr als 20 Kolonien, denen sie zum Teil die Namen ihrer früheren Ortschaften in Piemont geben wie: Pinache, Serres, Perouse etc.

Eine kleine Gruppe von Waldensern wurde 1699 unter dem Schutz des Grafen Ferdinand Maximilian I. von Ysenburg-Wächtersbach auf der Spielberger Platte nahe dem Büdinger Wald angesiedelt und gründeten Waldensberg.

Die Geschichte erzählt: Der Graf jagt gerade an einem der letzten August-Tage des Jahres 1699 in seinem Wald, als die Flüchtlinge die letzte Anhöhe zur Spielberger Platte nehmen.
“Seht, da kommen meine Waldenser über den Berg“, sagt der Graf. Seit da also könnte der Name Waldensberg entstanden sein. Etwa 400 Personen werden vorerst in den Dörfern Wolferborn, Wittgenborn, Leisenwald und Spielberg untergebracht. Der Aufnahmevertrag sieht vor, dass jede Familie 25 Morgen Land bekommen soll. Von den ursprünglich etwas über 400 Personen blieb nur etwa die Hälfte in Waldensberg, da die Lebensbedingungen sehr karg waren und das raue Klima der Vogelsbergerhöhen manchem zusetzte. Etwa 200 Personen verließen Waldensberg im Juni 1700 und siedelten sich in Nordhausen bei Heilbronn an. Den verbleibenden Waldensbergern wurden Privilegien wie Land, Befreiung von etlichen Abgaben und vom Militärdienst sowie relative Selbständigkeit in der weltlichen und kirchlichen Gerichtsbarkeit zugesichert. Von ihren deutschen Nachbarn wurden sie dafür lange Zeit beneidet.

Bei den Ansiedlern sind auch einige Handwerker, sie lehren die anderen das Wollkämmen, Flachshecheln und Strumpfwirkerei. Einige von ihnen ziehen als Wanderarbeiter bis in die Pfalz und verdienen damit ihren Unterhalt. Günstig im Bereich der Bewirtschaftung wirkt sich die Einführung des Kartoffelanbaus aus, der den Waldensern zugeschrieben wird. Dies verbesserte die Versorgungslage in Waldensberg wesentlich.

Die Waldensberger leben für lange Zeit in recht einfachen, um nicht zu sagen ärmlichen Verhältnissen. Sie sind noch auf Unterstützung von außen angewiesen. Die Einwohner leben in notdürftig errichteten Baracken. Schule, Kirche und Pfarrhaus gibt es anfangs noch nicht. Die Pfarrer der ersten Zeit begeben sich auf Kollektenreisen sogar bis nach England um Geld für den Bau dieser Gebäude zu erbitten.

1739 erfolgte schließlich die Einweihung der lang ersehnten Kirche. Die Waldenser wurden mittlerweile sesshaft und passten sich der Umgebung an. Aus den Nachbardörfern heirateten Frauen und Männer in die Gemeinde der “Welschen“ (so wurden die Waldensberger benannt) ein. So nahmen die Waldensberger viel von ihrer Umgebung auf und an, nicht zuletzt auch die Sprache. Erst im Jahre 1818 wurde offiziell die deutsche Sprache in Schule und Kirche eingeführt. Zuvor im Jahre 1817 schloss sich die Kirchengemeinde der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck an.

Im 19. Jahrhundert hat sich die wirtschaftliche Situation verschlechtert. Das lag daran, daß die kleinen Betriebe, die Tücher und Strümpfe erzeugten, sich auflösten und die landwirtschaftlichen Betriebe nicht genug abwarfen. Am Anfang des 19. Jahrhunderts belasteten allgemein schlimme Teuerungen die geringen Einkommen. Ihren Lebensunterhalt verdienten die Einwohner unter anderem in umliegenden Braunkohlebergwerken (z.B. Grube “Ida“ und “Elisabeth“ Nähe Waldensberg) und im Basaltwerk Breitenborn.

Auch von Opfern und ungeheurem Leid blieb Waldensberg in den zwei Weltkriegen nicht verschont.
Am schlimmsten ist was sich am 2. April 1945, also kurz vor Kriegsende in Waldensberg ereignete. Auf dem Rückzug befindliche SS-Truppen wurden von den vorrückenden alliierten Truppen der Amerikaner aufgespürt. Auf der Höhe von Waldensberg und Leisenwald kommt es zu schweren Gefechten. Über 400 Amerikanische und 140 Deutsche Soldaten sterben. Zum Leidwesen der Einwohner kommen auch 7 Zivilpersonen ums Leben, hierunter auch ein Kleinkind was in den Armen seiner Mutter von einer Kugel getroffen wird und den Tod findet. Während den Kämpfen wurde Waldensberg zu gut zwei Drittel dem Erboden gleich gemacht, darunter auch die Kirche. Mitten in Waldensberg richteten die Einheimischen einen Zimmerplatz (heutiger Park mit Brunnen) ein und bauten nach und nach ihre Häuser wieder auf. Die Einweihung der wieder aufgebauten Kirche fand im Jahre 1949 statt.

Im Zuge der Eingemeindung wurde 1971 Waldensberg ein Stadtteil von Wächtersbach. Heute leben in Waldensberg ca. 440 Einwohner. Etwa 380 Personen sind evangelisch. Familiennamen wie Piston, Talmon, Parandier, Joffroy und andere weisen auf die besondere Vergangenheit hin. Zur Schule und zur Arbeit müssen die meisten Einwohner den Ort verlassen. Leider musste die Bäckerei und das Lebensmittelgeschäft schließen. Ein landwirtschaftlicher Betrieb mit angegliederter Metzgerei ist noch am Ort. Die Vereine sind sehr rege und tragen zur Unterhaltung bei. Mit der italienischen Waldensergemeinde Bobbio Pellice befinden sich die Waldensberger in einer lebendigen kirchlichen und kommunalen Partnerschaft.

Gerald Bopp